26.08.2023

Das Projekt ist tot, hoch lebe das Projekt.

Sind Projekte heutzutage immernoch überlebenswichtig?

Projekte sind schwerfällig und langwierig. Sie bremsen die Organisation aus, binden die wichtigsten Talente und führen meistens zu Kostenexplosion und Chaos. Moderne, dynamische Organisationen setzen auf eine hohe Veränderungsfähigkeit durch Enterprise Agility, Design Thinking und Lean Startup Ansätze und brauchen daher keine Projekte mehr. Stimmt das?

Der Veränderungsdruck nimmt zu: Während alte Geschäftsfelder sterben, entstehen zahlreiche neue Marktchancen. Kunden werden anspruchsvoller, Märkte enger, Innovationszyklen kürzer und Fachkräfte knapper. Alle Unternehmen streben nach der Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und versuchen bessere Produkte herauszubringen, Kosten zu reduzieren und organisatorische Fähigkeiten auszubauen. 

Ich behaupte: Große Ergebnisse können nur durch Projekte erreicht werden. Mit Projekten können Ziele erreicht werden, mit der die operativen Regelorganisation überfordert wäre. Es geht darum mit einer mutigen Investition in Zeit und Geld über die Grenzen der Linienorganisation hinweg kalkulierte Risiken einzugehen. Projektmanagement hilft dabei eine effiziente Zeit- und Ressourcenplanung sicherstellen. 
 

Was sind Projekte eigentlich?  

Letztlich sind Projekte nur ein Vehikel, um definierte Veränderungen umzusetzen. Ein Projekt hat ein einmaliges Ziel, das innerhalb eines zeitlichen und finanziellen Rahmens erreicht werden soll. Leider werden Projekte oft mit großen und komplexen Vorhaben verbunden und insbesondere gescheiterte Großprojekte bleiben lange im Gedächtnis. Dabei werden unzählige kleine und große erfolgreiche Projekte gerne übersehen; denn was eskaliert bekommt mehr Aufmerksamkeit.

Alles, was einer individuellen Planung der nächsten Schritte und eines koordinierten Vorgehens bedarf, ist projektartiges Arbeiten: Von der Optimierung einer Excel-Mappe bin hin zum Konzernumbau. Das bedeutet unser heutiger Arbeitsalltag ist geprägt von Projektarbeit, auch wenn dafür nicht immer ein Millionenbudget eingesetzt wird.
 

Run vs. Change 

Um Aktivitäten jenseits des Regelbetriebs „Run“ zu beschreiben, wird oft der Begriff „Change“ verwendet. Die Analogie in der IT wäre die Unterscheidung zwischen IT Entwicklung und IT Betrieb. 

Run“ beschreibt das operative Tagesgeschäft. Hier geht es darum definierte Arbeit beliebig oft zu wiederholen und kontinuierlich definierte Ziele zu erreichen. Das Tagesgeschäft ist arbeitsteilig strukturiert und auf einen effizienten Ressourceneinsatz getrimmt. Zwar zählt auch die graduelle Weiterentwicklung bestehender Prozesse dazu. Wenn aber diese Veränderungen lediglich innerhalb arbeitsteiliger Teams umgesetzt werden, sind nur kleine evolutionäre Schritte möglich.

Change“ hingegen verändert die Wertschöpfung und ist darauf ausgerichtet die Zukunft zu gestalten. Statt historisch gewachsener Strukturen ist hier eine übergreifende Koordination von Kompetenzen nötig. Changes sind nicht wiederholbar, sondern jeden Change und jeden Fortschritt kann es nur einmal geben – panta rhei. Aufgrund dieser Einmaligkeit hat der Change auch besondere Anforderungen daran Risiken in den Griff zu bekommen und Investitionen in Zeit und Geld eng zu steuern.

Der Fokus im Tagesgeschäft liegt auf Effizienz, denn bei einer wiederholbaren Leistungserbringung ist Verschwendung zu vermeiden; ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss. Im Projektgeschäft hingegen liegt der Fokus auf Effektivität. Denn es wird Neuland betreten und um den Gipfel zu erreichen muss man manchmal in Kauf nehmen erst auf Umwegen anzukommen.

Trotz dieser klaren Abgrenzung gibt es Graubereiche. Beispielsweise gibt es in agilen Organisationen BizDevOps Squads, die die Leistungserbringung ganzer Einheiten kontinuierlich weiterentwickeln und in der Aggregation mehrerer Teams und Tribes auch abteilungsübergreifende Veränderungen umsetzen können (dazu später mehr). Weil in diesen Strukturen der kontinuierliche Wandel zum Regelbetrieb gemacht wird sind agile Organisationen sehr anpassungsfähig und können sich schnell auf neue Umstände reagieren. Daher behaupten einige in diesen Strukturen braucht es keine Projekte mehr. Doch auch hier bedarf es für sehr große und strategische Veränderungen gut gesteuerter Projekte.
 

Drei Kriterien für Projekte

In jeder Organisation gibt es Projekte, auch wenn sie nicht immer so bezeichnet werden. Es gibt drei Kriterien anhand dessen geprüft werden kann, wann es sinnvoll ist ein Projekt zu initiieren:

  1. Kritikalität: Wenn langfristig das Überleben einer Organisation von der Umsetzung wichtiger Veränderungen abhängt, reicht es nicht auf die Umsetzung einer Zielkaskade dezentral gesteuerten Einheiten zu vertrauen. Organisationsstrukturen beeinflussen Verhalten und jedes Team wird naturgemäß versuchen die eigenen Ziele zu erreichen und den eigenen Zweck zu erfüllen. Bei Teams mit strategischem Weitblick mag es im Einzelfall gelingen; aber wenn eine übergreifende Ergebnisverantwortung fehlt, können keine übergreifenden Ergebnisse verlangt werden. Für die Business Owner wäre es fahrlässig zu hoffen, dass einzelne Teams stets und jederzeit übergreifende Ziele kennen, verstehen und umsetzen.
  2. Komplexität: Projekte sind ein Vehikel, um eine ressortübergreifende Zusammenarbeit, komplexe Lieferketten und interdisziplinäre Kompetenzen zu koordinieren. Während sich die Linienorganisation auf ihre arbeitsteilige Kompetenzen optimiert, arbeiten Projekte quer zur arbeitsteiligen Hierarchie und darüber hinaus. Es braucht ein Projekt, wenn eine übergreifende und interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich ist und komplexe Abhängigkeiten gesteuert werden müssen. Idealerweise agiert eine Projektleitung horizontal auf Augenhöhe mit den Führungskräften der vertikalen Linienorganisation.
  3. Risiko: Mit Projekten wird unbekanntes Terrain betreten. Wenn große Business Cases, hohe Investitionen und strategische Ziele auf dem Spiel stehen, bedarf es einer zentralen Steuerung, eigenständiger Verantwortlichkeit und scharfer Risko- und Investitionssteuerung. Werden strategische Ziele nicht, oder verspätet erreicht kann das teilweise zu dramatischen Verlusten durch „Cost of delay“ führen (z.B. verlorene Technologieführer-Marge, verlorene Marktanteile, Compliance-Nachteile). Wer den Change nicht im Griff hat, setzt die eigene Karriere aufs Spiel. 
     

Über Projekte werden strategische Ziele umgesetzt

Jede Strategie beschreibt Veränderungen: höher, schneller, weiter. Um das zu erreichen, bedarf es eines planvollen Vorgehens und der Koordination übergreifender Kompetenzen. 

Projekte sind eine Organisationsform, die im Gegensatz zur Regelorganisation, signifikante Sprünge nach vorne ermöglichen. Allerdings gelten für Projekte andere Steuerungsgrundsätze: Beispielsweise liegt der Fokus auf Effektivität statt auf reiner Effizienz; und Projekte werden übergreifend über Team- und Abteilungsgrenzen hinweg gesteuert (horizontal statt vertikal).

Klassische Wasserfallprojekte gehören der Vergangenheit an und sind nur in Einzelfällen die richtige Wahl. Zudem können Projekte viel schlanker organisiert werden als früher, mit dezentraler Auslieferung von (Zwischen-) Ergebnissen in kürzeren Zyklen. So kann durch die Umstellung von Push- auf Pull-Prinzip die Umsetzung von Projekten Minimalinvasiv erfolgen, ohne die Gesamtorganisation lahmzulegen. 

Adaptive Organisationsformen können heute tatsächlich den Change größtenteils im Rahmen der Linienorganisation bewältigen. Aber immer, wenn große, kritische, komplexe und risikoreiche Vorhaben umgesetzt werden sollen, bedarf es weiterhin eines gesteuerten Projektvorgehens.